Presse 2011

Der Mexiko-Pendler

Neckar-Chronik, 1.7.2011

Der Mexiko-Pendler
Thorsten Irions Arbeitsplatz ist in Lateinamerika – seine Familie in Eutingen

Der „normale“ Pendler legt in seinem Arbeitsleben so an die 40 Kilometer von seiner Wohnung im Gäu zu seinem Arbeitsplatz in Sindelfingen zurück und das auf rund 40 Arbeitsjahre, da kommt ganz schön etwas zusammen. Wenn Thorsten Irion von seinem Haus in Eutingen ins „Geschäft“ will, dann sind das allerdings runde 10 000 Kilometer, einfache Strecke.

RAINER SATTLER

Eutingen. Thorsten Irions Arbeitsplatz ist im mexikanischen Cuernavaca, im Bundesstaat Morelos, rund 100 Kilometer außerhalb von Mexico-Stadt in Richtung Acapulco. Sein Arbeitgeber, „Borg Warner BERU Systems“ in Ludwigsburg, hat ihn in die Niederlassung in Südamerika delegiert. Dort hat die Firma ein Vertriebsbüro mit großer Lagerhalle und mit Logistikzentrum. Es beliefert die Ersatzteilgroßhändler für den mexikanischen Markt. Wie nun kommt ein Schwabe dazu, so weit weg von daheim Gebietsverkaufsleiter zu werden – für Lateinamerika, in einem Land, in dem ausschließlich Spanisch gesprochen wird?
Gerade die spanische Sprache ist es, die sich wie ein roter Faden durch das Leben von Thorsten Irion zieht. Schon in jüngsten Jahren hat er Bezug dazu gefunden, rumgekommen in der Weltgeschichte ist er schon reichlich. Geboren in Horb, verbrachte er seine ersten Lebensjahre in Freudenstadt und wurde später ein echter Bildechinger. Schon während seiner Grundschulzeit lebte er mit den Eltern zwei Jahre in Pakistan, wo der Vater beruflich tätig war. Dort besuchte Thorsten Irion die deutsche Schule und für ein halbes Jahr ein amerikanisches Gymnasium. Nächste Station war das Gymnasium in Horb. Nach dem Abitur kam die Bundeswehrzeit und ein halbes Jahr in der Dominikanischen Republik. Internationales Marketing war die Ausrichtung beim Studium der Betriebswirtschaftslehre, schon hier war Spanisch Wahlfach. Der Vertiefung der Sprachkenntnisse diente auch ein vierteljähriger Aufenthalt in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
Im Jahr 2003 kam es zur Anstellung beim internationalen Automobilzulieferer „BERU“ in Ludwigsburg. Irion war zuständig für die Geschäftskontakte zu den lateinamerikanischen Kunden.
Im Januar 2010 folgte die Entsendung nach Mexiko, befristet auf einen Zeitraum von 18 bis 24 Monaten. 20 Monate werden es nun exakt – am Sonntag, 31. August, dieses Jahres ist Schluss mit dem Auslandsaufenthalt. Dann ist es aber auch Zeit. In Eutingen wartet nicht nur seine Partnerin Marina Creuzberger, sondern seit 7. Juni auch Töchterchen Joly-Aline. Von den Beiden hat er sich letzten Sonntag verabschiedet, als er zum letzten Mal den Flieger in Richtung Mexiko bestieg. Fünf Mal in der ganzen Zeit war für zwei bis drei Wochen eine Heimreise angesagt. Dieser Urlaub war meist mit Geschäftsterminen wie Messen oder Verkaufstagungen verbunden.
Immer hat Marina Creuzberger nicht brav zu Hause gewartet. Ein Jahr lang, von März 2010 bis März 2011 war sie ebenfalls „drüben“. Eine wichtige Erfahrung, die sie nicht missen möchte, obschon sich das nicht immer problemfrei gestaltete. Ein tolles Haus, gar mit Pool, stand ihr zur Verfügung. Es war aber eine Art goldener Käfig. Obschon sie sich im Vorfeld etliche Spanischkenntnisse erworben hatte, blieb zumindest tagsüber der Kontakt zur Außenwelt sehr beschränkt. „Da gehst du nicht einfach so auf die Straße, als Frau schon sowieso nicht!“ Die hohe Kriminalitätsrate hält davon ab, der extrem niederige Lebensstandard eines Großteiles der Bevölkerung ist ursächlich dafür. Es gibt ein großes soziales Gefälle mit einer extrem reiche Oberschicht und auf der anderen Seite die armen Leute. Der Mittelstand, wie hierzulande, fehlt praktisch ganz. Vor allem die Kinderarmut sei erschreckend, erzählt Marina Creuzberger. Die hohe Arbeitslosigkeit und eine mangelnde medizinische Grundversorgung für die Leute ohne Geld seien Grundübel. Man lerne nach solch‘ einer Erfahrung wieder mehr zu schätzen, was man hierzulande alles an Komfort habe.
Als einen krassen Gegensatz zwischen hier und dort machte sie aus, dass die Menschen in Mexiko trotz Armut und Sorgen im Grunde sehr fröhlich seien, während hierzulande das Klischee vom „Jammern auf hohem Niveau“ zutreffe wie kaum sonst wo.
Natürlich gehen die beruflichen Aufgaben und Interessen weitgehend vor, aber etwas hat Thorsten Irion schmerzlich vermisst: Zweimal hat er die Fasnet verpasst, dabei ist er doch eine eingeschworene Bildechinger Riedhexe, wogegen seine Marina eine ebenso eingeschworene Eutinger Talhexe ist. Im Jahre 2006 waren die beiden sogar das Eutinger Prinzenpaar, was seinerzeit die Bildechinger Narren zu dem Jubelruf brachte: „Wir sind Prinzenpaar!“ Demnächst, in der Fasnet 2012, könne sie wieder auf Tour gehen – er in Bildechingen, sie in Eutingen, dies aber vermutlich im Schichtbetrieb, so wie es eben Joly-Aline zulässt.